Correspondence with Marie Steiner
1901–1925
GA 262
Translated by Steiner Online Library
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To Marie Steiner on a eurythmy tour
Saturday, 31 May 1924
Dornach, 31 May 1924 My dear Mouse,
I find the disruption of the Erfurt performance very distressing. Of course, something like this can be caused by a single person, and it can have the worst effects on the audience. When I look at the names of the cities where you are giving performances, I think to myself: how much the last few years have brought to these cities, which, at the time of my life in Thuringia, breathed true peaceableness. I was so pleased to receive your beautiful, inspiring description of the German Mittelland that I was all the more saddened when your letter with the bad news arrived.
Hopefully your health is not suffering too much from the hardships and excitements. It is quite unfortunate that Stuten had to be left behind. I have not heard anything more about him. I hope he will soon be better.
My journey went very well. There was only one disruption, in that one evening Sauerwein was ill and so could not translate. Claretie did it instead; her translation was quite excellent; but no one heard the excellence because she squeaked like the most gentle of little birds.
The public lecture was attended by more than 400 people. The atmosphere was extraordinary. The days were fully occupied. My stomach held out thanks to the care that was developed for it.
But now Dr. Wegman and I were surprised by the worst news from Dornach, even when we were out and about. The Werbeck book, because of the passages about Kully, was confiscated at our book sale and taken to court; Steffen, as editor of the 'Goetheanum', and Dr. Grosheintz, as a member of the Goetheanum authorized to sign, were accused of defamation, because an article by Steffen about the Werbeck book had appeared in the 'Goetheanum'. So we learned from outside that things are getting pretty wild in Dornach. The first court hearing was scheduled for today, May 31. When I came home, I saw the whole mess. The passage in Werbeck's book is such that a conviction is inevitable. I now held an emergency night meeting with the board, at which Grosheintz was also present. It had to be determined who could actually be charged. I have now given instructions to both Steffen and Grosheintz – I myself have not yet been summoned – which they followed well at the hearing today. We will now have time to further develop the case so that I can lead the defense myself. For only in this way can the matter be turned around properly. Werbeck, the assassin, cannot be reached because he cannot be sued in Switzerland, nor can the Stuttgarter Verlag. Grosheintz would be inconvenient. Only Steffen remains, or the entire executive council of the Anthroposophical Society. The latter would be best and must be achieved, because then I will lead the matter. It is also true that in the current situation since the Christmas Conference, the board takes responsibility for such a matter. And this will certainly happen. Under no circumstances can the book delivery service be held responsible. The matter will then be dealt with in such a way that we as the board will be sentenced to pay around 1000 francs and the court costs. Any other approach would create some kind of imbalance. When we read the Werbeck passage at the board meeting, I immediately said that we would of course not be acquitted. So far, things have gone well because Grosheintz and Steffen have strictly adhered to my wording at the board meeting. Now I have time to discuss the matter with you in detail after our meeting.
You understand that I did not want to write to Thuringia from out of town; that too might have been detrimental. Our opponents are at work.
All my love, Rudolf.
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An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Samstag, 31. Mai 1924
Dornach, 31. Mai 1924 Meine liebe Maus,
recht betrüblich finde ich die Störung der Erfurter Vorstellung. So etwas kann natürlich ein einziger Mensch bewirken, und es kann die schlimmsten Wirkungen im Publikum auslösen. Wenn ich mir die Namen der Städte ansehe, in denen Ihr Vorstellungen gebt, so sage ich mir: wieviel haben doch die letzten Jahre in diese Städte hineingetragen, die zur Zeit meines Lebens in Thüringen wahre Friedfertigkeit atmeten. Ich freute mich so über Deine schöne, begeisternde Schilderung des deutschen Mittellandes, dass ich dann, als dein Brief mit den schlimmen Nachrichten eintraf, um so betrübter war.
Hoffentlich leidet Deine Gesundheit unter den Strapazen und Aufregungen nicht zu sehr. Recht bedauerlich ist, dass Stuten zurückbleiben musste. Ich habe nun weiter nichts über ihn gehört. Er wird doch hoffentlich bald besser sein.
Meine Reise ist sehr gut verlaufen. Es gab nur die eine Störung, dass an einem Abend Sauerwein krank war, und so nicht übersetzen konnte. Das tat dann Claretie; ihre Übersetzung war ganz vorzüglich; aber das Vorzügliche hörte kein Mensch, weil sie wie das allersanfteste Vögelein piepste.
Der öffentliche Vortrag war von mehr als 400 Menschen besucht. Die Stimmung war ganz außerordentlich. Die Tage waren ganz voll besetzt. Mein Magen hielt sich dank der Sorgfalt, die für ihn entwickelt wurde.
Nun aber überraschte Frau Dr. Wegman und mich schon auswärts die übelste Nachricht aus Dornach. Das Werbeck’sche Gegnerbuch ist wegen der Stellen über Kully bei unserem Bücherverkauf konfisziert und auf das Gericht gebracht worden; Steffen als der Redaktor des «Goetheanums», Dr. Grosheintz als zeichnungsberechtigtes Mitglied des Goetheanums sind angeklagt wegen Ehrverletzung, denn es ist in dem «Goetheanum» ein Artikel von Steffen über das Werbeck’sche Buch erschienen. So erfuhren wir auswärts, dass es in Dornach recht wild zugeht. Auf heute, als dem 31. Mai war die erste Verhandlung bei Gericht angesetzt. Als ich nach Hause kam, sah ich die ganze Bescherung. Der Passus in dem Werbeck’schen Buche ist so, dass eine Verurteilung ganz unausbleiblich ist. Ich hielt nun schleunig mit dem Vorstand eine Nachtsitzung, zu der auch Grosheintz zugezogen war. Es musste ja festgestellt werden, wer eigentlich angeklagt werden kann. Ich habe nun sowohl Steffen wie Grosheintz Weisungen gegeben - ich selbst bin noch nicht vorgeladen — die sie heute bei der Verhandlung gut befolgten. Wir werden nun Zeit haben, die Sache weiter in solche Bahnen zu bringen, dass ich die Verteidigung selbst führen kann. Denn nur so kann die Sache recht gewendet werden. Werbeck, der Attentäter, ist nicht zu erreichen, weil er in der Schweiz nicht verklagt werden kann, der Stuttgarter Verlag auch nicht. Grosheintz wäre ungünstig. Es bleibt nur Steffen, oder der ganze Vorstand der anthroposophischen Gesellschaft. Das letztere wäre das beste und muss erreicht werden, denn dann habe ich die Sache zu führen. Es ist ja auch richtig, dass bei der jetzigen Lage seit der Weihnachtstagung der Vorstand für eine solche Sache die Verantwortung übernimmt. Und dies wird auch ganz sicher gehen. Der Bücherversand darf unter keinen Umständen verantwortlich gemacht werden. Es wird dann die Sache so gehen, dass wir als Vorstand zu etwa 1000 Franken und Tragung der Gerichtskosten verurteilt werden. Jeder andre Modus brächte irgendeine schiefe Lage. Als wir in der Vorstandsitzung den Werbeck’schen Passus lasen, sagte ich sogleich, selbstverständlich werden wir nicht freigesprochen. Bisher haben sich die Dinge eben dadurch gut abgewickelt, dass Grosheintz und Steffen sich streng an meine Formulierungen in der Vorstandsitzung gehalten haben. Es bleibt nun Zeit, dass ich auch mit Dir nach unserem Zusammentreffen, die Sache ausführlich besprechen kann.
Du begreifst, dass ich von auswärts nicht nach Thüringen schreiben wollte; auch das hätte vielleicht noch geschadet. Unsere Gegner sind am Werk.
Allerherzlichst Rudolf.