Correspondence with Marie Steiner
1901–1925
GA 262
Translated by Steiner Online Library
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To Marie von Sivers in Berlin
Thursday, November 18, 1909
M. 1. M. Thank you very much for your kind words. If only it were possible to ease your burden a little! But how could one take away the possibility of this at this stage of our work? It is indeed very difficult to know that you are so overburdened. But it is not true that you write of me as being tired. What weighs on my mind is that the meaning of the matter at hand changes so easily when it passes through the ears and comprehension of other people. In Stuttgart, however, there is a place where the few leading people can respond to everything absolutely well; but in return, they feel again how difficult it is to get the right meaning to run through the veins of others. But they understand well, both Arenson and Unger, how necessary it is to cultivate the rudiments in the branches. So that one does not then have to talk about CHR, for example, to people who know nothing about the limbs of the human organization. In Bremen, on the other hand, Mrs. Wandrey 18Camilla Wandrey, née Bähr (1859-1941), member in Berlin October 1904, secretary at the founding of the Dresden II branch in October 1909, also active in Hamburg, later in Dornach. She wrote numerous lectures by Rudolf Steiner. On her program: the Ten Commandments as a preparation for Christianity, or even Christianity in the present day. This is for people to whom I had to speak about the elements of karma in order not to tell them something bleak and worthless. So in the branches to people to whom karma must first be spoken, the most difficult things are spoken of by lecturers who look like a five-year-old boy at a cannon. Of course, you will say, it is up to me to tell these people. But assuming that this is the only way to do it, then nothing else can be done at the same time but to close the gate to all our esotericism. For I must not realize the inner contradiction of training people like children and at the same time giving them that which is to be given in the esoteric sense in our present time. How I am to speak to people, that I do. Before I wanted her to lecture in lodges, I sent Mrs. Wandrey to Dr. Unger to learn the form of thinking. She came back saying that everything Dr. Unger said felt like climbing a climbing pole of concepts to get to where she would be from the outset. If people only want what they think is right, then they are willing to hear from me that they are right. By then, they have long forgotten that I spoke clearly in the first council, and that if they understand it the way it was in the above case, the only thing left to say is, “Well!”
In Stuttgart, things went well; however, it is clearly noticeable that precisely in places where, as there, good work is being done, it is not right to come so rarely, especially for public lectures. The time from February to November was too long for Stuttgart. One could already see this in the increase of interest from the first to the second lecture, from Monday to Tuesday. Besides, it hardly makes sense to give many lectures in places where the Theosophists themselves - I mean the active ones - have such a poor impact. One must not forget that a lecture does not mean anything to people, especially if it is good.
The journey from Stuttgart to Bern took from 8 o'clock in the morning until 6:15 in the evening. The trains are snowed in, miss the connections, etc. Bern is beautiful in the snow. Last night in the box was good.
All my love, Ralf.
Don't take the lines too badly; it has to be done somehow!
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An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 18. November 1909
Briefkopf: Grand Hotel & Bernerhof, Berne
M. 1. M. Hab herzlichsten Dank für die lieben Zeilen. Wenn es doch möglich wäre, Deine Überbürdung etwas zu lindern! Aber woher sollte man gerade in diesem Stadium unserer Arbeit die Möglichkeit nehmen? Es ist ja recht schwer, Dich so überlastet zu wissen. — Dass Du von mir schreibst, ich wäre ermüdet, stimmt aber nicht. Was mir etwas auf der Seele liegt, ist, dass der Sinn der Sache, um welche es sich handelt, so leicht sich wandelt, wenn er durch die Ohren und die Fassungsvermögen der andern Menschen geht. In Stuttgart ist allerdings ein Ort, wo die paar führenden Leute absolut gut auf alles eingehen können; aber dafür fühlen sie gerade wieder, wie schwer es wird, dass der rechte Sinn auch durch die Adern der andern rinne. Aber sie verstehen gut, sowohl Arenson wie Unger, wie notwendig es ist, dass die Anfangsgründe in den Zweigen gepflegt werden. Damit man dann nicht z.B. über CHR zu Leuten zu sprechen hat, welche nichts wissen von den Gliedern der menschlichen Organisation. In Bremen hatte dagegen Frau Wandrey 18Camilla Wandrey, geb. Bähr (1859-1941), Mitglied in Berlin Oktober 1904, Schriftführerin bei der Gründung des Zweiges Dresden II im Oktober 1909, auch in Hamburg tätig, später in Dornach. Schrieb zahlreiche Vorträge Rudolf Steiners mit. auf ihrem Programm: die 10 Gebote als Vorbereitung zum Christentum, oder gar das Christentum in der Gegenwart. Das ist für Menschen, zu denen ich über die Elemente des Karma sprechen musste, um ihnen nicht trostlos Wertloses zu sagen. So wird in den Zweigen zu Leuten, zu denen über Karma erst gesprochen werden muss, von den schwierigsten Dingen gesprochen von Vortragenden, welche sich dabei ausnehmen wie ein fünfjähriger Junge an einer Kanone. Gewiss, Du wirst sagen, es läge an mir, diesen Leuten das zu sagen. Vorausgesetzt aber, dass dies nur so ginge, dann könnte gleichzeitig nichts anderes gemacht werden, als das Tor zu unserer ganzen Esoterik geschlossen [zu schliessen]. Denn ich darf den inneren Widerspruch nicht realisieren, die Menschen wie Kinder zu dressieren und gleichzeitig ihnen das esoterisch geben, was so im Sinne unserer Gegenwart gegeben werden soll und muss. Wie ich zu den Menschen sprechen soll, das tue ich. Ich habe Frau Wandrey, bevor ich wollte, dass sie in Logen vorträgt, zu Dr. Unger geschickt, um da sich anzueignen die Form des Denkens. Sie kam zurück, sagend, dass sie alles das, was Dr. Unger sage, empfinde wie ein Klettern auf einer Kletterstange von Begriffen, um dahin zu gelangen, wo sie von vornherein stünde. Wenn dann die Menschen also nur wollen, was sie für richtig halten, dann sind sie bereit, von mir zu hören, dass sie recht haben. Vergessen haben sie dann längst, dass ich doch deutlich gesprochen habe mit dem ersten Rat, und dass, wenn sie ihn so auffassen, wie das im obigen Falle geschehen ist, es weiter nur noch möglich ist, zu sagen: na ja!
In Stuttgart ging es gut; nur ist deutlich zu merken, dass es gerade an den Orten, wo, wie dort, gut gearbeitet ist, es nicht richtig ist, so selten hinzukommen, namentlich zu öffentlichen Vorträgen. Die Zeit vom Februar bis zum November war für Stuttgart zu lang. Schon an der Hebung des Interesses vom 1. zum 2. Vortrag vom Montag zum Dienstag konnte man das merken. Daneben hat es kaum einen Sinn, viel vorzutragen an Orten, wo die Theosophen selbst - ich meine die aktiven - so wenig günstig wirken. Man muss nicht vergessen, dass ein Vortrag den Leuten gar nichts sagt, gerade, wenn er gut ist.
Die Fahrt von Stuttgart nach Bern dauerte von morgens 8 Uhr bis abends 6 Uhr 15. Die Züge sind eingeschneit, versäumen die Anschlüsse usw. Bern ist wunderschön im Schnee. Gestern abend in der Loge war es gut.
Ganz herzlichst Ralf.
Nimm die Zeilen nicht zu schlimm; es muss irgend gehn!